COVID-19: Innsbrucker Infektiologe plädiert für mehr Gelassenheit

Günter Weiss warnt vor Alarmismus und mahnt Verhältnismäßigkeit ein.

Der Direktor der Innsbrucker Universitätsklinik für Innere Medizin, Günter Weiss, tritt dafür ein, mehr Normalität zu wagen und von „überschießenden Ängsten“ wegzukommen. Foto: VNT/Archiv

Der Innsbrucker Infektiologe und Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin, Günter Weiss, plädiert für mehr Gelassenheit im Umgang mit dem Coronavirus, warnt vor Alarmismus und mahnt Verhältnismäßigkeit ein. Es gelte nun, mehr Normalität zu wagen und von „überschießenden Ängsten“ wegzukommen, sagte Weiss im APA-Gespräch und sprach sich gleichzeitig für ein Aus der derzeitigen Teststrategie mit zu vielen Tests und einem Hin zu einer „symptombasierten Diagnostik“ aus.

Nicht alarmierend stellt sich für den renommierten Mediziner, der dem Beraterstab der Coronavirus-Taskforce im Gesundheitsministerium angehört, derzeit auch die Situation in den Krankenhäusern dar: „Wir sind noch weit entfernt von einer drohenden Überlastung. Es ist wichtig, dass man das Augenmaß behält. Corona-Patienten machen einen nur ganz geringen Prozentsatz unserer Patienten aus“. Es gehe darum, auch alle anderen Patienten gut zu behandeln, „damit sie die Therapie bekommen, die sie brauchen“, stimmte Weiss mit jüngsten Aussagen des Grazer Allgemeinmediziners und Public Health-Experten Martin Sprenger überein, wonach man das Virus zwar ernst nehmen, aber „den Scheinwerfer wegnehmen und alle Krankheiten wieder gleich beleuchten“ solle.

Dass trotz zuletzt signifikant gestiegener Infektionszahlen die Lage in den Spitälern stabil blieb, erklärte sich Weiss mit „relativ weniger schweren Fällen“, einem Corona-Durchschnittsalter von etwa 37 Jahren und den Erfahrungen, die man gewonnen habe. Das klinische Management habe sich verbessert, es müssten weniger Patienten auf die Intensivstation gebracht werden und – falls sie dort landen – sei der Aufenthalt eher von kürzerer Dauer. „Momentan ist das im überschaubaren Bereich“, bilanzierte der Infektiologe. Er rechne zwar damit, dass der Anteil der älteren Patienten wieder ansteigen werde, aber: „Wenn es auf diesem Niveau bleibt, kommen wir wahrscheinlich gut durch den Winter“.

Auch im Hinblick auf die kommende kalte Jahreszeit plädierte Weiss für Rationalität. „Nicht jeder normale Schnupfen sollte sofort einen Alarm auslösen“, betonte er. Wichtig sei daher, die Diagnostik wieder in die Hand der Mediziner zu geben und „endlich wieder zurückzugehen zu den normalen Prinzipien der Medizin“. Dies bedeute, Symptome gehörten bereits – wie bei allen anderen Krankheiten – im niederschwelligen, niedergelassenen Bereich abgeklärt. Das Setzen von diagnostischen Schritten sei eine ärztliche Aufgabe.

Gleichzeitig machte der Mediziner klar, dass er die Devise „Testen, testen, testen“ nicht für zielführend hält. „Das ist vielleicht fehlinterpretiert worden. Es sollte nicht so sein, dass man die Bevölkerung quer durchtestet oder Gesunde, die nie Kontakt zu einem Infizierten hatten, testet. Die Testung sollte auf einer Verdachtsdiagnose beruhen“, erklärte Weiss. Zusätzlich sollten noch „Hochrisikokontakte“ und vulnerable Personen in Altersheimen oder auch Krankenhäusern getestet werden. Überdies gelte es, weiter das Augenmerk auf Bereiche zu legen, in denen die medizinische Versorgung nicht so optimal sei bzw. die Menschen nicht diesen optimalen Zugang zur Medizin haben – wie etwa in Flüchtlingsheimen oder Arbeiterwohnheimen.

Das Starren auf die Infektions- bzw. Fallzahlen als alleinig aussagekräftiges Kriterium hielt Weiss für falsch und stimmte damit mit Aussagen von medizinischen Experten in letzter Zeit überein. Derartige Bewertungen bezeichnete der Infektiologe als „hinterfragenswert“. Sie würden letztlich zu einem „Wirrwarr“ führen, das Europa an den Rand des Abgrunds treibe. Vielmehr sollte auf EU-Ebene eine „gemeinsame Strategie“ entwickelt werden – anstatt mit „gegenseitigen Reisewarnungen“ zu operieren. Mit letzterem „Blödsinn“ sollte aufgehört werden.

„Die Verhältnismäßigkeit ist ein wichtiger Punkt. Die Infektion ist da – und dieser Tatsache sollte man ins Auge blicken. Man sollte das rational einordnen, so wie es sich darstellt“, so Weiss. Man müsse lernen, mit „dieser Krankheit zu leben“ – so, wie man es auch mit anderen Infektionskrankheiten mache, und sie auch als eine weitere in dieser Reihe einstufen. Und darüber hinaus gelte es zu hoffen, dass man eine effektive Prophylaxe in Form einer Impfung zur Verfügung haben werde, die vor allem jene schütze, die besonders von der Krankheit betroffen sind. Bis dahin gelte es, mit „relativ einfachen Maßnahmen“ die Menschen bei der Stange zu halten – mit den Hygiene-und Abstandsregeln etwa und dem Grundsatz: „Wenn ihr krank seid, bitte bleibt zuhause“. Hinzukomme die notwendige Abklärung im niederschwelligen Bereich.

„Wichtig ist, dass das soziale und wirtschaftliche Leben erhalten bleibt. Es ist ganz schwierig, wenn ich zwar alles tue, eine Infektion hintanzuhalten, aber den Staat mehr oder weniger an die Wand fahre“, meinte Weiss. Dies sei ein ganz schmaler Grat. Man müsse wieder wegkommen davon, dass es jeder im Bereich der Testungen „noch besser machen oder noch mehr zeigen will“ und Abstand nehmen von „skurrilen Dingen“ wie etwa dem Ausspritzen von Seilbahnen oder dem Reinigen von Gehsteigen.