Tirol Beitrag

10. September 2019

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Univ. Prof. Dr. Paul König: Heilkunst im Wandel der Zeit

Vor genau 40 Jahren, habe ich nach 4 Forschungssemestern am Pharmakologischen Institut der Medizinischen Universität in Innsbruck die heiß ersehnte Ausbildungsstelle zum Facharzt für Innere Medizin bekommen. Damals wurden im Rahmen der Facharztausbildung zwar organbezogene Schwerpunkte gesetzt, aber es gab noch keine Additivfächer für Kardiologie, Hämatologie oder Nephrologie, um nur einige Beispiele zu nennen.

Univ. Prof. Dr. Paul König: „Wie die Medizin durch die Entwicklung der Naturwissenschaft für diagnostische und therapeutische Möglichkeiten großen Zuwachs erfahren hat, so haben sich auch gesellschaftliche Werte, die einem ständigen Fluss unterliegen, verändert.“ ©VNT/Archiv

Grundvertrauen des Patienten zum Arzt

Ich wurde also zum Facharzt für Innere Medizin ausgebildet und das zentrale Organ war die Niere. Inzwischen haben sich durch den enormen Wissenszuwachs der Naturwissenschaft zahlreiche Additivfächer etabliert und es ist nicht mehr möglich, sich mit allen Details aller Additivfächer intensiv zu beschäftigen und ihre Inhalte zu beherrschen, sodass interdisziplinäre Kommunikation immer wichtiger wird, um eine umfassende Behandlungsstrategie zu garantieren.

„War vor 40 Jahren der Arzt einerseits noch ein „ Gott in Weiß“, so hat er andererseits auch eine medizinische Autorität dargestellt, die gehört und anerkannt wurde. Grundsätzlich herrschte ein Grundvertrauen des Patienten zum Arzt, dass das Möglichste für seine Heilung getan wird, ohne von Zweifeln geplagt zusein, dass ihm möglicherweise etwas vorenthalten werden könnte“

Wie die Medizin durch die Entwicklung der Naturwissenschaft für diagnostische und therapeutische Möglichkeiten großen Zuwachs erfahren hat, so haben sich auch gesellschaftliche Werte, die einem ständigen Fluss unterliegen, verändert. Nicht nur beim einzelnen Menschen, sondern auch innerhalb sozialer Gefüge. So auch im Bereich der Medizin. War vor 40 Jahren der Arzt einerseits noch ein „ Gott in Weiß“, so hat er andererseits auch eine medizinische Autorität dargestellt, die gehört und anerkannt wurde. Grundsätzlich herrschte ein Grundvertrauen des Patienten zum Arzt, dass das Möglichste für seine Heilung getan wird, ohne von Zweifeln geplagt zusein, dass ihm möglicherweise etwas vorenthalten werden könnte. Aber Zeiten ändern sich, Patienten ändern sich und natürlich auch Ärzte und die Medizin – wie die Menschheit insgesamt sich ändert. Damals wie heute sind die Grundlagen der Behandlung naturwissenschaftliches Wissen, das unter dem Aspekt der psychosozialen Kompetenz mit viel Empathie, getragen von Geduld, Vertrauen und Respekt zur Anwendung kommt, um Heilung der uns anvertrauten Patienten zu erreichen oder im Falle unheilbarer Erkrankungen die Lebensqualität durch Unterstützung in sozialen Belangen, mit adäquater Schmerzbekämpfung, Linderung von Atemnot, Vermeidung von Angstzuständen etc. zu begleiten.

Wertschätzung durch den Patienten

Die Befindlichkeit des Patienten war das Zentrum der Behandlung. Das Bemühen auf pflegerisch/ärztlicher Seite und das Vertrauen und die Dankbarkeit auf Patientenseite ergänzten sich gegenseitig. Damals war es üblich, dass sich Patienten, die mehrere Wochen an der Klinik in stationärer Behandlung waren, bei ihrer Entlassung beim Pflegepersonal mit Kaffee und Kuchen bei den behandelnden Ärzten üblicherweise mit einem „Guten Tropfen“ bedankten, um ihrer Freude Ausdruck zu verleihen, dass das Bestmögliche getan wurde und so eine Wiederherstellung oder wenigstens deutliche Verbesserung des Gesundheitszustandes erzielt wurde. Eine Form der Wertschätzung, die unser Bemühen um die Patienten nicht nur auf einer wissenschaftlichen, sondern auch auf einer emotionalen Ebene bekundete.

„Heute ist es vor allem wichtig bei der Entlassung einen „perfekten“ Arztbrief mitzugeben, der die optimale Diagnostik bestätigt und auf den Einsatz aller therapeutischen Maßnahmen hinweist, um sich vor möglichen Klagen zu schützen, die mangelhafte Diagnostik, fehlende Aufklärung oder gar fehlerhafte Behandlungsstrategien zum Inhalt haben.“

Heute ist es vor allem wichtig bei der Entlassung einen „perfekten“ Arztbrief mitzugeben, der die optimale Diagnostik bestätigt und auf den Einsatz aller therapeutischen Maßnahmen hinweist, um sich vor möglichen Klagen zu schützen, die mangelhafte Diagnostik, fehlende Aufklärung oder gar fehlerhafte Behandlungsstrategien zum Inhalt haben. Der Grat zwischen Recht/Unrecht und dem „Richtigen“ ist speziell in der Medizin oft ein sehr schmaler und je nach Betrachter individuell verschieden. Die allgemeine Verunsicherung unter Patienten wird durch reißerische Artikel in den Medien geschürt, schicksalshafte Verläufe mit tragischen Komplikationen hinterlassen nur noch Gedanken wie: „Wer ist schuld“? und/oder: „Wie komme ich zu meinem Recht?“ Daraus resultierend: „Was steht mir inGeld gemessen nun als Entschädigung zu?“ Die emotionale Lösung von Problemen wird durch wirtschaftliche Wiedergutmachung, sprich Bezahlung, abgegolten. Es steht außer Zweifel, dass bei Komplikationen, die nun einmal vorkommen ein adäquater Schadenersatz das entstandene Unglück mildern soll, es darf daraus aberkein lukratives Geschäft gemacht werden.Auf Grund der enormen Entwicklung der Naturwissenschaften müssen wir uns in Acht nehmen, dass sich nicht eine High-tech-Medizin entwickelt, die von der ursprünglichen Heilkunst auf eine kopflastige Körpermedizin reduziert wird und somit den Körper von den menschlichen Dimensionen Geist und Seele trennt.

Grundanliegen des Heilens

Diagnosen werden dann vor allem mit Hilfe von Laborparametern, Bild gebenden Verfahren, wie Röntgen, Sonographie etc. erstellt und die tatsächliche Geschichte des Kranken wirdoft nicht mehr in ihrer umfassenden Bedeutung wahrgenommen. Aus diesem Grund würde die Bedeutung von Heilung oder Heilsein auf das biochemische und physikalische Funktionieren der Körperfunktionen reduziert werden.Die Befindlichkeit des Patienten würde nicht mehr das Grundanliegen des Heilens darstellen. Die Dimensionen Angst, Leid, Verzweiflung, Hoffnung, Verstehen und verstanden werden sind in den Heilungsprozess nicht mehr bewusst integriert. Gerade Angst und Verzweiflung, die oft ihren Platz haben sollten, weil sie situationsbedingt dazugehören, werden als pathologische „Depression“ abgetan und medikamentös unterdrückt, anstatt aktiv bearbeitet zu werden. Aspekte der Hoffnung werden oft zerstört, weil die Angst vor den wissenschaftlich prophezeiten Katastrophen größer ist, als das Vertrauen und die Liebe zum Leben. Sobald Krankheit anstelle von Kranksein unser Heilen beherrscht, würde das Wesen Menschkeine tragende Rolle in unserem Tun und die Dimensionen Geist und Seele, die dem Kranksein Sinn geben können, bleiben vom Genesungsprozess ausgeschlossen.

„Neben der Beschäftigung mit der Wissenschaft und regelmäßigen Fortbildungen haben viele meiner Patienten, manche betreue ich seit Anfang meiner Ausbildung, also über 40 Jahre, durch Ihre ganz persönliche Krankengeschichte zu meiner Entwicklung und Reifung als Arzt beigetragen“

Nur der achtsame Umgang mit allen 3 Dimensionen kann zum Heilsein führen, das auch den Tod beinhalten kann. Neben der Beschäftigung mit der Wissenschaft und regelmäßigen Fortbildungen haben viele meiner Patienten, manche betreue ich seit Anfang meiner Ausbildung, also über 40 Jahre, durch Ihre ganz persönliche Krankengeschichte zu meiner Entwicklung und Reifung als Arzt beigetragen, wofür ich sehr dankbar bin. Ich habe von meinen Patienten viele unterschiedliche Möglichkeiten für den Umgang mit chronischer Krankheit kennengelernt und festgestellt, dass es für die Bewältigung der damit verbundenen Probleme oft ganz persönliche Lösungen braucht, die vom behandelnden Arzt nur in verständiger Übereinkunft mit dem Betroffenen erreicht werden können.Die Ursache dieser Fehlentwicklung liegt im Versuch der maximalen Ökonomisierungdes Gesundheitswesens, wobei zugleich vergessen wird, dass Gesundheit, Zufriedenheit und daraus entstehendes Lebensglück keine objektiv messbaren Parameter sind und sich damit der objektiven Beurteilbarkeit entziehen und mit Zahlen nicht berechenbar sind.„Billige Medizin“ ist in der Folge dann teure Medizin, weil im Zentrum nicht das Wohl des Patienten liegt, das oft mit überschaubaren Mitteln auf dem Boden wissenschaftlicher Erkenntnisse gepaart mit Erfahrung und Empathie erreicht werdenkann, sondern das Ziel die unwiderlegbare Beweisbarkeit eines aus der Norm geratenen Zustandes ist, der dann Diagnose genannt wird, die nach vorgeschriebenen Leitlinien behandelt werden soll.Dieser Entwicklung müssen wir uns entgegenstellen und dabei ist Ihre Position als Patient von großer Bedeutung.

Wissen und Leidenschaft

Ihr Vertrauen auf unsere ärztliche Kunst, um wieder den Begriff Heilkunst ins Bewusstsein zu rufen, den unser Berufsethos verdient, stelltunsere Basis ärztlichen Handelns dar, das von naturwissenschaftlichem Wissen, psychosozialer Kompetenz und Empathie, in geduldigem, respektvollen und vertrauensvollem Umgang mit Ihnen als Patient getragen wird. Die größte Belohnungfür unser ärztliches Handeln ist der zufriedene Patient, als Belohnung für unsere Arbeit, die nur mit viel Wissen und Leidenschaft zum gewünschten Ergebnis führen kann. Somit wird unsere Motivation ein guter Arzt zu sein von Ihrer Zufriedenheit angespornt. Wenn uns die Verwirklichung dieser Vision gelingt, wird der enorme Fortschritt der Naturwissenschaften für Diagnosestellung und Behandlung von Kranksein zu einem unschätzbaren Wert, ohne die Leistbarkeit zu gefährden. Die moderne Medizin kann mit einem Schachspiel verglichen werden. Wir sammeln biologischen Daten mit denen wir akademisch Schach spielen und der Patient fungiert als Schachbrett. Ich glaube, Sie als Patienten und wir als Ärzte, wünschen uns menschliche Lösungen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauend Heilung ermöglichenund zugleich zur Zufriedenheit auf beiden Seiten beitragen.

Dank und Anerkennung für Nephro Tirol

Abschließend möchte ich es nicht versäumen, Herrn Egon Saurer, dem Obmann des Dialysevereins meinen herzlichen Dank und auch meine Hochachtung auszusprechen für seine Tätigkeit als Vertreter unserer gemeinsamen Anliegen auf medizinischer, menschlicher und auch politischer Ebene, die letztlich für das Gelingen einer erfolgreichen und zufriedenstellenden, medizinischen Versorgung der gesamten Bevölkerung unumgänglich ist.