Interview mit Primar Prof. Dr. Karl Lhotta, Präsident der österreichischen Gesellschaft für Nephrologie (ÖGN)

„…Die jungen Kolleginnen und Kollegen sind heute, zum Glück, wesentlich kritischer. Sie wollen nicht nur Systemerhalter sein, sondern eine praktische Ausbildung bekommen…“

Für seine wissenschaftlichen Aktivitäten und die besonders vorbildliche und nachhaltige Wirkung seiner Lehrveranstaltungen wurde Univ.-Doz. Dr. Karl Lhotta eine Ehrenprofessur verliehen. Der in Brixlegg geborene und sub auspiciis praesidentis promovierte Mediziner ist Primararzt der Abteilung für Nephrologie und Dialyse am Akademischen Lehrkrankenhaus Feldkirch sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie
Für seine wissenschaftlichen Aktivitäten und die besonders vorbildliche und nachhaltige Wirkung seiner Lehrveranstaltungen wurde Univ.-Doz. Dr. Karl Lhotta von der Medizinischen Universität Innsbruck eine Ehrenprofessur verliehen. Im Interview mit „Nephro Tirol“ hofft er auf die Umsetzung des Projektes „Niere 60/20“ in allen Bundesländern. (©ERA-ETA)

Zur Person:  Der in Brixlegg in Tirol geborene und sub auspiciis praesidentis promovierte Mediziner ist seit 2008 Primararzt der Abteilung für Nephrologie und Dialyse am Akademischen Lehrkrankenhaus Feldkirch und Experte für Hypertensiologie. Derzeit ist er Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie (ÖGN).

(VNT). Nephro Tirol (NT): Herr Primar, Sie sind gebürtiger Tiroler und nun schon seit 2008 Primar am Landeskrankenhaus Feldkirch. Wie haben Sie die Änderung von Innsbruck nach Vorarlberg erlebt?

Karl Lhotta (KL): Mit 50 nochmals Krankenhaus und Land zu wechseln, ist natürlich eine gewisse Herausforderung. Aber das macht das Leben erst spannend. Als Primar hat man natürlich die Möglichkeit, seine Ideen besser umzusetzen. Hilfreich ist dabei auch das Naturell der Vorarlberger. Sind sie einmal von einer Sache überzeugt, setzen sie diese ohne viel Wenn und Aber um. Und gute Ideen sind im Ländle immer gefragt.

NT: Gegenwärtig sind Sie auch Präsident der ÖGN und haben sich sehr für das Projekt „Niere 60/20“ in Vorarlberg eingesetzt. Wie wichtig finden Sie die Umsetzung für ganz Österreich?

KL: 60/20 hat zwei wichtige Aspekte: Einerseits geht es um die Früherkennung von Nierenerkrankungen in Risikogruppen wie Patienten mit Diabetes oder Bluthochdruck. Nur bei rechtzeitiger Diagnose sind Maßnahmen zur Verhinderung des Fortschreitens der Nierenerkrankung und zur Senkung des Risikos für Herzkreislauerkrankungen möglich. Höchstens ein Viertel aller Patienten mit einer Nierenschädigung wissen davon. 20 bedeutet, dass Patienten mit einer weit  fortgeschrittenen Nierenerkrankung an nephrologischen Zentren in Ruhe und mit bester Information auf die Nierenersatztherapie vorbereitet werden können. Das Programm wird in Vorarlberg als zweitem Bundesland nach der Steiermark im Herbst starten. Sollte „60/20“ in der Steiermark und in Vorarlberg ein Erfolg sein, werden andere Bundesländer sicher nachziehen. Am besten wäre es natürlich, wenn das Programm einheitlich in ganz Österreich zur Anwendung käme.

NT: Unlängst fand in Wien der 53. ERA-EDT-Kongress mit mehr als 8000 Teilnehmern statt. Wie haben Sie diesen großen Kongress der Nephrologie erlebt?

KL: Als Präsident der ÖGN waren natürlich einige Repräsentationsaufgaben zu erledigen, so dass die Zeit für den Besuch des wissenschaftlichen Programms etwas zu kurz gekommen ist. Was aufgefallen ist, war die sehr gute und lockere Stimmung unter den Kongressteilnehmern. Und das wissenschaftliche Programm war natürlich vom Feinsten. Ich denke, es ist gut gelungen, Österreich, Wien und die österreichische Nephrologie sehr positiv darzustellen.

NT: Erfreulich ist auch die Entwicklung der Dialysepatienten in Vorarlberg. Die Inzidenz geht zurück. Die ÖGN geht von 400.000 Nierenkranken in Österreich aus. Kann das epidemische Ausmaße annehmen?

KL: Der Rückgang an neuen Dialysepatienten ist nur auf die Gruppe mit Diabetes beschränkt. Trotzdem zeigt er, was bei rechtzeitiger Diagnose und Einleitung progressionshemmender Maßnahmen möglich ist. In Vorarlberg ist die Zahl der neuen Patienten besonders stark gesunken. Ich vermute, dass das mit einem besonderen Bewußtsein für Nierenerkrankungen zu tun hat. Früherkennung und Progressionshemmung sind gerade jetzt besonders wichtig, da die Generation der Babyboomer in einigen Jahren ins „Dialysealter“ kommt. Niemand kann derzeit abschätzen, was dann passieren wird. Vielleicht schnellen die Patientenzahlen dann wieder in die Höhe.

NT: Beim 10. Nephrologischen Symposium in Schladming meinten Sie, dass 75 Prozent der Betroffenen unbehandelt bleiben. Haben Sie das Gefühl, dass die Niere vernachlässigt wird?

KL: Das ist ganz sicher so! Eine Proteinurie oder eine leicht eingeschränkte Nierenfunktion werden nicht als das wahrgenommen, was sie sind, nämlich sichere Hinweise auf ein großes Nierenproblem und kardiovaskuläres Höchstrisiko. Dieses Bewußtsein muss sowohl bei Medizinern als auch bei Betroffenen geschärft werden.

NT: Uns interessiert natürlich auch die Entwicklung in der Fachmedizin. Faktum ist, dass wir auf einen Fachärztemangel zusteuern. Bilden wir genügend Nephrologen aus?

KL: Derzeit sind soviel ich weiß die meisten Facharztausbildungsstellen Nephrologie in Österreich noch besetzt. Der Ärztemangel wird aber auch vor der Nephrologie nicht halt machen. Wir müssen daher Sorge tragen, dass das Fach für Jungmediziner attraktiv bleibt.

NT: Welche Bedeutung messen Sie in Zukunft den Patientenorganisationen bei? Die Niere ist ja praktisch in allen Bundesländern als Verein organisiert und auf Bundesebene durch die Arge Niere vertreten. Sehen Sie Bedarf die Zusammenarbeit beider Gesellschaften (ANÖ und ÖGN) weiter auszubauen?

KL: In Zeiten knapper Resourcen werden Patientenvereine als „Lobbyisten“ im besten Sinn des Wortes immer wichtiger. Die Erfahrung gerade hier in Vorarlberg hat gezeigt, dass sich manche Dinge mit Rückenwind durch den Patientenverein leichter umsetzen lassen. Die Schwerpunktsetzung für künftige Aktivitäten sollte natürlich gemeinsam in Absprache zwischen ANÖ und ÖGN erfolgen.

NT: Sie sind ja – wie man hört – sehr intensiv in der Klinisch-Praktischen Ausbildung tätig. Was hat sich da in den letzten Jahrzehnten verändert?

KL: Die jungen Kolleginnen und Kollegen sind heute, zum Glück, wesentlich kritischer. Sie wollen nicht nur Systemerhalter sein, sondern eine praktische Ausbildung bekommen, die diesen Namen auch verdient. Ich glaube auch, dass sich bei den Fachärzten die Einsicht durchgesetzt hat, dass Ausbildung von jungen Kollegen nicht eine lästige Verpflichtung sondern eine notwendige und lohnende Aufgabe ist.

NT: Beim ERA-Kongress wurde auch ein mobiles Heimdialysegerät vorgestellt. Man hört in Österreich kaum etwas davon. In Italien ist das anders. Welche Erleichterungen können sich Dialysepatienten in den nächsten Jahren erwarten?

KL: Die Heimhämodialyse ist natürlich ein sehr aufwändiges und auch nicht ungefährliches Verfahren, für das nur wenige Patienten in Frage kommen. Das wird sich auch in Zukunft und auch bei Einsatz neuer Technologien nicht wesentlich ändern. Wir forcieren als Heimtherapie daher die Bauchfelldialyse. Eine wichtige Maßnahme zum Ausbau der Heimdialyse wären Programme für eine assistierte Bauchfelldialyse. Auch bei der tragbahren künstlichen Niere gibt es technische Schwierigkeiten. Aber hier ist eher mit einem Durchbruch und Fortschritt zu rechnen als bei der Heimhämodialyse.

NT: Vielen Dank für das Gespräch!

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ÖGN

Landeskrankenhaus Feldkirch