Weltnierentag 2016: Die fleißige Niere hat ein Manko

800.000 Österreicher haben ein Nierenleiden – oft, ohne es zu wissen. Das Entgiftungsorgan besitzt nämlich kein Warnsystem. Experte Gert Mayer erklärt am Weltnierentag, was man noch über die Nieren wissen sollte.

Eins kann die Niere nicht, und das ist ihr großes Problem: „Den Nieren fehlt bei vielen Erkrankungen das Warnsystem Schmerz.“
Eins kann die Niere nicht, und das ist ihr großes Problem: „Den Nieren fehlt bei vielen Erkrankungen das Warnsystem Schmerz.“

(ANÖ/TT). Innsbruck – Die Niere ist ein wahrer Workaholic und übernimmt viele Aufgaben gleichzeitig: Sie entgiftet den Körper, produziert Hormone – Erythropoietin oder Renin  –, aktiviert Vitamin D, reguliert den Salz- und Säure-Basen-Haushalt und steuert den Blutdruck. Alles in 50:50-Arbeitsteilung. Denn der Körper besitzt zwei Nieren. Wenn eine ausfällt, stockt die andere auf 75 Prozent der normalen Gesamtleistung auf. Eins aber kann die Niere nicht, und das ist ihr großes Problem: „Den Nieren fehlt bei vielen Erkrankungen das Warnsystem Schmerz“, erklärt Gert Mayer, Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin IV (Nephrologie und Hypertensiologie) in Innsbruck zum heutigen Weltnierentag. Meist kämen die Betroffenen deshalb auch erst zum Arzt, wenn die Nierenerkrankung bereits fortgeschritten sei.

„Es gibt manchmal Patienten, die zum ersten Mal in die Klinik kommen und sofort dialysiert werden müssen“, sagt Mayer. Denn auch wenn z. B. die Leistungsfähigkeit der Patienten durch die Nierenerkrankung sukzessive nachlasse, würden diese eine enorme Toleranz entwickeln. Die Beschwerden schrieben sie oft anderen Ursachen zu oder akzeptierten sie einfach als „Alterserscheinung“. Eine Harnvergiftung – Urämie – könne jedoch im schlimmsten Fall tödlich enden. Ein hoher Blutdruck und Wassereinlagerungen (Ödeme) sind Symptome, bei denen man nicht nur an eine Herz-Kreislauf-Erkrankung, sondern auch an die Nieren denken sollte. „Der erste Schritt in der Diagnostik ist eine Harnuntersuchung. Blut oder Eiweiß im Urin sind häufig Zeichen einer Nierenfunktionsstörung und sollten Anlass für eine weiterführende Abklärung sein.“

Die Niere funktioniert im Prinzip wie ein Sieb. Bei Störungen in den Filterteilchen der Niere, den Glomerula (siehe: Grafik) gelangen plötzlich rote Blutkörperchen oder Eiweiß in den Harn. „Der zweite Schritt ist die Blutuntersuchung. Hier wird vor allem der Serumkreatininwert bestimmt. Ein erhöhter Wert weist meist auf eine bereits relativ weit fortgeschrittene Erkrankung hin“, sagt Mayer. Der Ultraschall ist ein weiteres gängiges Diagnose-Verfahren. Grundsätzlich muss man zwischen chronischen und akuten Nierenerkrankungen unterscheiden. Unverträglichkeit von Medikamenten, schwere Infektionen, aber auch eine akute Herzerkrankung könnten die Nieren kurzzeitig lahmlegen. Die gute Nachricht ist aber, dass sich die Niere nach einem akuten Nierenversagen häufig erholt, selbst wenn vorübergehend eine Dialyse nötig sein sollte.

Vor allem Diabetiker und Hochdruckpatienten müssen aber aufpassen, damit sie keine chronische Nierenerkrankung entwickeln. „30 Prozent der Patienten, die auf eine Transplantation warten oder dialysiert werden, sind Diabetiker. Weitere 30 Prozent haben einen erhöhten Blutdruck als Ursache.“ Die restlichen 40 Prozent der Nierenfunktionsstörungen sind entweder genetisch bedingt oder auf Erkrankungen des Immunsystems zurückzuführen – entweder als Teil einer Systemerkrankung (Lupus, Vasculitis) oder als Autoimmunerkrankung, die nur die Niere betrifft.

Dieses Jahr wollen die österreichischen Nephrologen anlässlich des Weltnierentages besonders auf Nierenerkrankungen bei Kindern aufmerksam machen. Kinder würden zwar selten nierenkrank, wenn, dann sei es meist erblich oder durch Fehlbildungen im Bereich der Harnwege bedingt. „Bei Kindern fällt das aber schnell auf, wenn sie z. B. schon sehr früh Wasser­einlagerungen haben.“

Merkmal aller schweren Nierenerkrankungen ist, dass beide Nieren betroffen sind. „Erfreulicherweise haben sich die Therapiemöglichkeiten bei Nierenerkrankungen in den letzten Jahren deutlich erweitert. Sehr lange Zeit hat die Zahl der schwer nierenkranken Diabetiker massiv zugenommen. In den letzten Jahren gab es hier aufgrund der verbesserten Therapie einen Rückgang.“

In der Nephrologie würden Biologika bei Erkrankungen des Immunsystems vermehrt erfolgreich eingesetzt. Erfolgversprechende Therapieansätze gebe es auch bei genetischen Nierenerkrankungen.

„Trotzdem gilt auch in der Nephrologie, dass Vorsorge durch nichts ersetzt werden kann.“ Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wie Bewegungsmangel, Übergewicht, Rauchen und zu hoher Kochsalzkonsum sind auch Wegbereiter für Nierenerkrankungen. Risikopatienten sollten regelmäßig eine Laboruntersuchung durchführen lassen. Da die Niere so viele Aufgaben übernimmt, dürfe man im Krankheitsfall auch nicht vergessen: Vitamin D  (wichtig für die Knochenbildung) und Erythropoietin (fördert die Blutbildung) kontrollieren und eventuell von außen zuführen.

Nieren-Fragen

Wie viel sollte man trinken?

Ein gesunder Mensch sollte täglich eineinhalb bis zwei Liter Flüssigkeit zu sich nehmen. Kaffee wirkt leicht entwässernd. Das begleitende Glas Wasser macht also durchaus Sinn.

Wie viele Österreicher sind nierenkrank?

Wenn man alle leichten Nierenstörungen miteinbezieht, sind rund 800.000 Österreicher betroffen. Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben ein erhöhtes Risiko.

Was passiert bei der Dialyse?

8500 Patienten werden in Österreich derzeit dialysiert. Bei der Dialyse übernimmt eine externe Maschine die Filterfunktion der Niere – wenn nötig, über viele Jahre. 30 bis 40 Prozent der Dialyse-Patienten sind auf der Warteliste für eine Transplantation.