Obwohl er den Sonderklassepatienten gar nicht operiert hatte, stellte der Tiroler Primararzt ihm danach eine saftige Rechnung

(VNT/TT). Innsbruck —Darf ein Primararzt einem Sonderklassepatienten eine Behandlung verrechnen, wenn der Chef den Patienten nie zu Gesicht bekommen hat? Nein, sagen, wie berichtet, Landesgericht und Oberster Gerichtshof. „Das passiert jeden Tag“, sagt der Direktor der Ärztekammer, Günter Atzl. Das Urteil löst an Tirols Spitälern Kopfschütteln aus. Dass Ärzte am Sonderklassepatienten verdienen, ohne ihn je zu Gesicht zu bekommen, ist in der Praxis verbreitet. Von den 31 Millionen Euro an Privatgeldern profitieren Anästhesisten, Radiologen, das Labor, die Blutbank — sie alle würden leer ausgehen, wenn das Urteil Schule macht.
Und was, wenn der Sonderklassepatient nicht vom Chef, sondern vom Oberarzt seiner Wahl operiert werden will? Honorarberechtigt ist nur der Klinikchef, nicht der Oberarzt, der die Leistung erbringt. Ein Kaufimpuls für eine Privatversicherung ist die freie Arztwahl. Diesen „Luxus“ preisen beinahe alle Versicherungsgesellschaften an. Auch da sieht die Praxis etwas anders auf. Die freie Arztwahl sei nur eingeschränkt möglich, sagt der Vizerektor der Medizin-Universität, Gustav Fraedrich. „Der Betrieb an einer Klinik muss laufen. Es kann nicht einer nur Privatpatienten operieren.“ Fraedrich war lange Primararztsprecher und ist Primar an der Gefäßchirurgie. Der Chef müsse darauf achten, „dass die Indikation passt“. Übersetzt heißt das, dass die medizinische Maßnahme nach dem Krankheitsbild und nicht nach der Versicherung eines Patienten gesetzt wird. „Dass nicht operiert wird, obwohl es nicht nötig wäre, nur um Geld zu verdienen“, erklärt Fraedrich.
Das Urteil macht den deutschen Professor nicht nervös. „Das ist in Österreich immer schon so gewesen.“ Die Diskussion um die Privathonorare sei eben aufgrund des Urteils wieder aufgeflammt. Die Ärztekammer lässt auf jeden Fall prüfen, ob das Urteil Auswirkungen auf andere Fälle haben könnte. „Wir gehen von einem Einzelfall aus, sonst könnten viele Patienten klagen“, meint Direktor und Jurist Günter Atzl.
Zwei Klassen von Patienten, aber keine Zweiklassenmedizin?
Gesundheitssystem: Es gibt zwar Sonderklassepatienten in Österreich, eine Ungleichbehandlung von Patienten ist jedoch untersagt. Freie Arztwahl: In Österreich hat jeder Krankenversicherte die Möglichkeit, bei Gesundheitsproblemen „ungelenkt“ einen Hausarzt, niedergelassenen Facharzt, eine beliebige Spitalsambulanz oder gar eine Uniklinik zu frequentieren. Ob er gleich zum Facharzt geht, kann in Österreich der Patient entscheiden. In anderen Ländern braucht es eine Überweisung. Bezahlung: Im niedergelassenen Bereich kostet der Wahlarzt. Entweder der Patient zahlt einen Teil selbst oder er ist zusatzversichert. Im Spital verspricht die Zusatzversicherung die freie Arztwahl und eine bessere Unterbringung. Landesgesetz: Das Tiroler Krankenanstaltengesetz regelt, welcher Arzt von den von ihnen betreuten Pfleglingen in der Sonderklasse ein mit diesen zu vereinbarendes Honorar verlangen darf. Im Gesetz heißt es also, von ihnen betreut. In der Praxis sieht das anders aus. |