Ärztemangel in Tirol: „Meine Praxis würde ich verschenken“

Acht Fachärzte und zwei Allgemeinmediziner sucht die Tiroler Gebietskrankenkasse. Selbst Wahlärzte tun sich am Land schwer, ihre Praxis zu übergeben. Ärztemangel und Systemfehler machen sich bemerkbar.

Offene Stellen: In Schwaz, Hall und Imst fehlt ein Psychiater, in Kufstein ein Haut-, in Kitzbühel ein Kinder-, in Reutte ein Augen-, in Innsbruck ein HNO-Arzt, in Telfs ein Gynäkologe, in der Wildschönau zwei Hausärzte.
Offene Stellen: In Schwaz, Hall und Imst fehlt ein Psychiater, in Kufstein ein Haut-, in Kitzbühel ein Kinder-, in Reutte ein Augen-, in Innsbruck ein HNO-Arzt, in Telfs ein Gynäkologe, in der Wildschönau zwei Hausärzte.

(VNT/TT). Innsbruck, Zams – 50 Minuten nimmt sich der Internist Richard Schönherr für einen Patienten bei der Erstuntersuchung Zeit. Wäre er Kassenarzt, ginge er damit bankrott. „Unter 1000 Scheine geht da nichts“, meint der Zammer gegenüber der TT. Zwar haben die Scheine ausgedient und wurden durch eine E-Card ersetzt, beim Abrechnungssystem hat sich nicht viel geändert. Für eine Erstordination erhält ein Arzt 3,99 Euro für den ASVG-Versicherten. „Mehr wert“ sind die Patienten von kleinen Kassen. Schönherr hat einen Vertrag mit der Eisenbahner-Kasse. In Landeck kein schlechtes Geschäft, schließlich sind alle Liftangestellten, solange sie arbeiten, bei der Eisenbahnerkasse. „Für einen solchen Patienten bekomme ich 22,63 Euro.“ Ähnlich sei es bei Beamten, Lehrern und Bauern. Das ist immerhin gut fünfmal so viel wie für einen ASVG-Versicherten.

1986 hat Schönherr seine Ordination eröffnet. Damals ohne Kassenvertrag und ein Hochrisikogeschäft. „Ohne Kasse, das überlebst du nie“, hätten ihm Arztkollegen gesagt. Es ist anders gekommen. 17.000 Patienten habe er heute. Als Wahlarzt werde ihm jede Leistung bezahlt, wenn die Arztbesuche auch mit acht pro Quartal limitiert seien. „Die Praxis läuft gut, dennoch will sie kein Arzt übernehmen.“ Schönherr ist 69 Jahre alt, verzichtet bereits seit vier Jahren auf seine Pension, aber irgendwann sei Schluss. „Ich würde die Praxis sogar verschenken, samt allen Geräten.“ Warum sich keiner meldet, führt der Zammer Internist auf die Lage seiner Praxis und den Ärztemangel zurück. Außerdem würden Ärzte nicht für das Unternehmertum ausgebildet. „Man muss sich schon trauen, selbstständig zu werden.“

Ähnlich sieht es Ärztekammerpräsident Artur Wechselberger. Ärzten fehle die Hilfestellung. Diese wünscht sich die Kammer von der öffentlichen Hand. Noch gravierender sei aber das Kassenabrechnungssystem. „Es zwingt zur Masse.“ Das schrecke viele junge Ärzte ab. „Sie haben eine andere Work-Life-Balance als die Generation davor.“ Die Generation davor geht jetzt in Rente. Rund 64 Prozent der niedergelassenen Fachärzte gehören bereits der Altersgruppe 55+ an, bei den Allgemeinmedizinern sind es 45 Prozent.

Zu lange habe man zugesehen, meint Wechselberger. Noch immer gebe es keine flexiblen Arbeitszeitmodelle im niedergelassenen Bereich, noch immer könnten Ärzte keine Ärzte anstellen. „Das System hat sich selbst überlebt“, lautet sein Befund. Es gehöre endlich aus der „Zwangsjacke“ befreit und entstaubt.

Risse im Korsett erkennt der Direktor der Tiroler Gebietskrankenkasse, Arno Melitopulos. Kassenstellen könnten sich zwei Ärzte teilen, echte Gruppenpraxen seien auf dem Weg. Für eine rechtzeitige Übergabe der Praxen gebe es Unterstützung. Die Tiroler Gebietskrankenkasse hat 600 Ärzte unter Vertrag. Die zehn nicht besetzten Stellen müssten daher in Relation gesehen werden. Für die heuer 36 ausgeschriebenen Stellen seien 66 Bewerbungen eingelangt. „2014 haben wir 44 Stellen ausgeschrieben, 42 wurden besetzt. Es gab insgesamt 102 Bewerber.“ Melitopulos ist zuversichtlich, die Stellen besetzen zu können. In Kitzbühel werde ein Kinderarzt, in Imst, Hall und Schwaz ein Psychiater und in Kufstein ein Hautarzt gesucht. Offen ist auch die Stelle eines Augenarztes in Reutte, die eines Gynäkologen in Telfs, in Innsruck ist die Stelle eines HNO-Arztes ausgeschrieben. Neben den acht Fachärzten sucht die Kasse noch immer zwei Allgemeinmediziner für die Wildschönau. Dort haben indes zwei Wahlärzte den Job übernommen.

Die Suche nach einem Nachfolger aufgeben will Richard Schönherr in Zams nicht. „Die Praxis ist mein Lebenswerk. Ich möchte sie und die Patienten in guten Händen wissen“, meint er.